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Kindheit und bestimmte Lebenslagen – Zum Arte-Film „Berlin Stories“

Berlin ist eine Stadt für bestimmte Lebenslagen. Das findet Oscar Coop-Phanes, nachdem er für seinen Roman „Bonjour Berlin“ einmal tief im Berliner Nachtleben versumpft ist. Das Berghain als Emblem des Großstadt-Rauschs, Olymp jedes Freiheitssuchenden.

Abendsonne auf der Eisfabrik

Es ist merkwürdig, diese Dinge über seine Heimat zu lesen. Das ist eine ganz andere Stadt, als die, die ich kenne. Ein kleiner Teil von dem, was Berlin ist. Es scheint von außen kaum vorstellbar zu sein, dass es dort normale Tagesabläufe ohne elektronische Musik und bundgefleckte Kleidung, Straßenmusiker und Morgensonne gibt, die durch alte Fabrikgebäude schimmert. Ich liebe diese Seite von Berlin, aber es ist nicht die Einzige. Ja, in Berlin kann man ein Leben führen, das nur zu bestimmten Lebenslagen passt, aber dafür steht die Stadt nicht. Das ist nur eine der Seiten, die Menschen aus der ganzen Welt, oder eben Coop-Phanes aus Frankreich anziehen. Die dort eine Stadt vorfinden, die sich nach und nach ihren Erwartungen annähert. Wo aber keiner fragt, für wen sie eigentlich stehen möchte.

Roedeliusplatz

Der Roedeliusplatz in meinem Heimatbezirk Lichtenberg

Berlin für wen?
Weshalb hat mich der Arte-Film „Berlin Stories“ so bewegt? Weil er genau dieses Gefühl auffängt. Er versucht sich der Stadt über Literatur mit Berlin-Geschichten zu nähern. Und schafft es, diese Feinheit der unterschiedlichen Ost-West- und Berliner-und Berlinbesucher-Wahrnehmung abzubilden. Eines davon hat die russische Schriftstellerin Nellja Vermej letztes Jahr geschrieben. Es heißt „Berlin liegt im Osten“ und erzählt von den unterschiedlichen Erwartungen, die aufeinander prallten, als Ost und West zusammenschmolzen. Dazu gehört auch der „geschichtsunbewusste und triumphalistische Umgang mit DDR-Architektur“, wie FAZ-Redakteur Claudius Seidl treffend formuliert. Und das Gefühl, dass Besuchern ein Bild von der Stadt erschaffen wird, mit dem sich viele Berliner immer weniger identifizieren.

Der besondere Zustand „Kindheit“
Weshalb ist das Thema Berlin und sein steter Wandel so emotional aufgeladen? Im BR Kulturmagazin puzzle hat Nellja Veremey ein Interview gegeben, das eine kleine Antwort darauf gibt. Auf die Frage, was für sie Heimat ist, sagt sie, es ist dort wo unsere Kindheit war. „Da ist unsere Heimat. Kinder sind unsterblich. Kinder glauben nie, dass sie irgendwann sterben. Das ist ein besonderer Zustand eines Menschen. Das ist ein Leben in Zauber, in einem Märchen. Und deswegen werden wir uns immer nach den Orten sehnen, an denen wir unsterblich waren.“

Berlin Stories von Simone Dobmeier und Torsten Striegnitz bleibt noch bis zum 3.12.2014 in der Arte Mediathek.