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Suis-je Charlie? – Unsere Provokateure und wir

indexHeute vor einer Woche saß ich wie jetzt mit der ZEIT und mehreren Kaffee am Frühstückstisch. Es war die Ausgabe, deren Redaktionsschluss auf den Nachmittag der Attentate auf Charlie Hebdo fiel. Und das machte sie interessant. Es war eine Ausgabe, die über die chinesische Journalistin Miao berichtete, die in Peking in Isolationshaft sitzt, weil sie im Umfeld der chinesischen Demokratiebewegung aktiv war. Shana Sultanove berichtete, wie Journalisten in ihrer Heimat Aserbaidschan verfolgt werden, was auch eine hochrangige amerikanische Regierungsdelegation nicht davon abhielt, das unkommentiert zu lassen. Wenige Seiten entfernt ein Artikel über Islamisten in Libyen, die die Wahl verloren und zu den Waffen gegriffen haben. Nein. Keine Schwerpunkt – Ausgabe. Berichte aus aller Welt – vor dem Attentat in Paris.

Als ich die Zeitung las und mich dann durch Analysen und Meinungen im Internet klickte, kam ich natürlich auch an David Brooks „I Am not Charlie Hebdo“ nicht vorbei. Brooks argumentierte auf der Seite der New York Times, dass die Solidarisierungswelle mit Charlie Hebdo unter dem Slogan „Je suis Charlie“ heuchlerisch ist. Wir stellen uns geschlossen hinter die Helden von Charlie Hebdo – Provokateure, deren Karikaturen wir ohne das schreckliche Attentat nie akzeptiert hätten. Der Text hat mich erst geärgert, aber eigentlich hat er getroffen. Ich denke, er hat die Sympathiewelle für Charlie Hebdo vom Kopf auf die Füße gestellt und die Frage in den Raum geworfen, wie wir mit Provokateuren in unserer Gesellschaft umgehen. Wir kennen sie gern. Wir reden und ärgern uns gern über sie. In unserer unmittelbaren Nähe haben wir sie aber lieber nicht.

Ich denke, aus diesem Grund schmerzt das Attentat auf Charlie Hebdo so sehr. Es erinnert uns an unsere eigene Intoleranz. Es gibt den Demonstranten der Pegida Stoff, gegen die Presse zu wettern. Und wir ahnen bzw. wissen aus der wahren Anti-Wulf-Kampagne, der Ukraine-Berichterstattungen und oberflächlichen, unter Zeit- und Geldknappheit entstandenen Texten und Beiträgen, dass viele Kritikpunkte gerechtfertigt sind. Außenseiter sind nun zu Märtyrern geworden, während die Journalisten der großen Tageszeitungen und Rundfunkanstalten mit dem ekelhaften Vorwurf der „Lügenpresse“ zurechtkommen müssen. Mich schmerzt es. Sicherlich, weil ich selbst Journalistin bin. Weil ich mir immer wieder Gedanken um meine potenzielle „Schere im Kopf“ mache. Welche Konsequenzen haben meine Reportagen oder Moderationen? Hab ich etwas Wichtiges nicht bedacht, ist mir ein Denkfehler unterlaufen oder trifft es Empfindlichkeiten von Autoritäten, Vorgesetzten oder Meinungsträgern, von denen ich nichts ahne? Hat es, so absurd das klingt, Konsequenzen für meine eigene Zukunft? Charlie Hebdo schmerzt, weil seine Karikaturisten Regelbrecher waren, die sich diese Gedanken nicht gemacht haben, die unsere Ängste und Vorstellungen von Standards konsequent ignoriert haben. Die uns damit konfrontiert haben, dass es weit abseits von uns liegende Ansichten gibt, die ihre Daseinsberechtigung haben. Unsere einzige Möglichkeit als offene Gesellschaft, die wir ja alle so gern sein wollen, ist, für Randmeinungen und Provokateure wieder offener zu werden.

Gerade Pegida stellt uns vor eine Herausforderungen. Gemeinsame Häme gegen die Demonstranten bringt nichts. Wir müssen in den Dialog treten mit unangenehmen, und ja, selbst verachtungswürdigen Meinungen. Ich denke Brooks greift zu kurz. Es ist nicht heuchlerisch , „Je suis Charlie“ zu skandieren. Wenn wir uns vorher die Frage gestellt haben, ob wir es denn sind.